Vom Ausredenlassen
Gesprächsbeiträge die beginnen mit einer Aussage wie: "Wenn alle Elefanten gelb gestreifte Fahrräder haben, dann ..." provozieren Unterbrechungen.
Solche Gesprächsbeiträge erzwingen geduldiges Zuhören weil eine Antwort darauf sich sinnvoller Weise auf die erste nicht-konsensuale Prämisse beziehen kann, die alles in der Folge gesagte in Frage stellt.
Es ist nicht konstruktiv jemanden zu zwingen sich einen Gesprächsbeitrag anzuhören der mit einer nicht-konsensualen Prämisse beginnt, im Gegenteil es ist dies eine rhetorische Figur die Unterwerfung durch Stillhalten verlangt.
Zu den nicht-konsensualen Prämissen zählen logischer Weise alle Ableitungen von nicht-konsensualen Meinungen:
A sagt: Diese Blüte ist rot.
B antwortet: Diese Blüte ist doch blau.
A sagt: Wenn diese Blüte rot ist, folgt daraus (= Ableitung) ....
Hier wird das Argument von B nicht aufgegriffen und beispielsweise widerlegt oder ihm zugestimmt um es ausser Streit zu stellen und dann darauf aufzubauen, sondern das Argument von B wird in der folgernden Argumentation von A übergangen.
Das Argument von B wird also nicht gewürdigt, sondern ignoriert, auf die Position von B wird nicht eingegangen, es wird in Frage gestellt, dass das Argument von B wert sei gewürdigt zu werden.
Zusätzlich wird B gezwungen sich etwas anzuhören, dass darauf aufbaut, dass die eigenen Argumente wertlos seien. Das ist demütigend.
Es muss also möglich sein, Gesprächsbeiträgen nach der ersten in ihnen vorkommenden Prämisse widersprechen zu dürfen (es geht hier um Gespräche mit freier Redezeit, nicht um Vorträge mit vereinbarter Sprechzeit).
Um diese Unterbrechung nach der ersten Prämisse zu vermeiden ist es notwendig sich zuerst mit der Widerlegung des Argumentes von B zu beschäftigen und erst auf der Basis eines dann erreicheten konsensualen Ausgangspunktes weiter zu argumentieren.
Anmerkung: Es ist der Zweck eines
(1) Gespräches, sich mit der (abweichenden) Aussagen des Gegenübers zu beschäftigen, alles andere sind
(2) Mitteilungen, die nur angemessen sind wenn sie erwünscht sind, sonst sind sie
(3) Imperative,
oder
(4) soziale Laute die unter anderem dazu dienen die soziale Rangordnung zu klären oder die soziale Zugehörigkeit.
Eine noch einfachere wirkunsgleiche rhetorische Figur ist:
A sagt: Diese Blüte ist rot
B antwortet: Gestern war Montag, daraus folgt ...
hier ist die Erwartung, dass B "auf den Punkt kommt", nämlich wie die Prämisse von B mit dem Argument von A zusammenhängt. Wenn dieser "Punkt" nicht kommt, ist es wiederum ein ignorieren des Argumentes von A, und damit kein Gespräch sondern etwas anderes (2, 3 oder 4).
Das lässt sich vermeiden, wenn B erklärt das Thema zu wechseln, allerdings nachdem
(a) B zuerst A zustimmt oder wenn
(b) B erklärt A nicht zuzustimmen, aber den Dissens jetzt stehen zu lassen (das ist unter Meinungsvielfalt ja legitim)
(c) B erklärt sich zur Meinung von A nicht äussern zu wollen
Diese, einem Themenwechsel vorausgehende Deklaration (a,b oder c) drückt aus, dass das Argument von A nicht übergangen wird sondern "so stehengelassen".
Oft trifft in Gesprächen dabei der Fall ein, dass das erste Argument, das hier im Beispiel von A ausgesprochen wird wird, gar nicht ausgesprochen wird, sondern still vorausgesetzt.
Selbstverständlich kommt es daher vor, dass erst durch das darüber Reden offenbar wird, dass eine unausgesprochene Voraussetzung gar nicht konsensual ist. Wird das beim Aufstellen einer Prämisse offenbar, hilft auch hier nur zuallererst einen Konsens über die unausgesprochenen Voraussetzungen der Prämisse zu erreichen oder zumindest ausser Streit zu stellen, dass die unausgesprochen gewesene Voraussetzungen nicht konsensual ist.
Generell scheint es mir notwendig zu akzeptieren, dass bei einer Wortmeldung, in der mehrere Prämissen hintereinander aufgezählt werden, es für jede einzelne Prämisse eine Zustimmung geben muss und es daher konstruktiv ist, nach jeder vorgetragenen Prämisse Widerspruch zu ermöglichen. Im Gegenzug ist es unkonstruktiv mehrere Prämissen hintereinander aufzuzählen ohne zu jeder einzelnen davon Widerspruch zu ermöglichen.
Ja, diese Vorgehensweise scheint nicht einfach, aber sachlich gesehen ist es nicht die Vorgehensweise sondern der Sachverhalt, der komplex ist wenn er mehrere Prämissen hat, beziehungsweise die Meinungsverschiedenheit die tief ist, wenn viele der Prämissen nicht konsensual sind.