ab und an wird mir die Frage gestellt, wie das eigentlich ist mit der Drehleier und der Linkshändigkeit. Als Linkshänder und professioneller Drehleierspieler - unter anderem Gewinner des Drehleier-Solowettbewerbes von St. Chartier und seit über zehn Jahren auch Drehleier-Lehrer auf Kursen und im Privatunterricht - fühle ich mich qualifiziert dazu Auskunft zu geben.
Die Drehleier wird standardmässig mit der rechten Hand gekurbelt, mit der linken Hand wird die Tastatur bedient. Es ist augenfällig, dass die Verteilung der Aufgaben - links die Saiten verkürzen, rechts die Saiten streichen - der üblichen Anordnung aller Zupf- und Streichinstrumente folgt, wohl von dieser abgeleitet ist und damit ursächlich wohl rechtshändig ist. Die Frage ist, sollte ein Linkshänder also ein seitenvertauschtes Instrument spielen?
Bei näherer Betrachtung der Aufgaben der beiden Hände ergibt sich ein differenziertes Bild. Der rechte Arm ist zuständig für die Kurbelgeschwindigkeit, diese steuert sowohl die Dynamik als auch die Rhythmik der Schnarre. Die linke Hand verkürzt die Saiten und steuert dabei die Intonation und Tongebung, den Klang des Instrumentes.
Die Grundbewegung der Rechten ist dabei eine Armbewegung, bei vergleichsweise passiver Hand, im Gegensatz zur Linken, bei der die Feinmotorik der Hand beansprucht wird.
Eine der Hauptschwierigkeiten des Instrumentes für Anfänger ist jedoch weder in der Technik der Rechten oder Linken zu finden sondern in der Koordination der selbständigen Bewegungen der Beiden und ist unabhängig von der Händigkeit. Diese Tatsache wird aber oft übersehen und die vorhandenen Defizite einer der beiden Hände zugeordnet, meist naheliegender Weise der Schwächeren.
Meine Erfahrung aus dem Unterricht von Anfängern zeigt, dass die Fähigkeit die Finger einzeln zu bewegen bei der schwächeren Hand oft wenig ausgebildet ist. Insbesondere Ringfinger und Kleiner Finger können kaum einzeln bewegt werden.
Bei Linkshändern ist diese motorische Schwäche im Gegensatz zu Rechtshändern allerdings kein Problem für das Drehleierspielen, da Bewegungen von Ringfinger und Kleinem Finger der Rechten für das Drehleierspielen kaum von Bedeutung sind.
Der Beitrag der Rechten zum Klang besteht in der Steuerung der Dynamik und damit verbunden der Schnarre. Verglichen mit anderen Saiteninstrumenten bei denen wesentliche Teile der Tonformung (durch Streichen oder Zupfen) der Rechten zugeordnet sind, ist das bescheiden - bei der Drehleier ist die schwierige Aufgabe des Streichens der Saiten mechanisiert, die Aufgaben der Rechten sind um diese Aufgabe verringert.
Eine gute bis exzellente Grundtechnik des Rechten Armes einschliesslich des unregelmässigen Viererschlags lässt sich bei entsprechender Aufmerksamkeit des Lernenden unabhängig von der Händigkeit innerhalb weniger Tage vermitteln und innerhalb weniger Wochen automatisieren. Die Schwierigkeiten des Drehleierlernens liegen in anderen Bereichen, in der Motorik der linken Hand, der Koordination der Hände und der Automation.
Auch bei weiterführenden Techniken der Rechten bei denen das Schnarren mit Dynamik und Stops kombiniert wird, besteht die Schwierigkeit nicht in der motorischen Leistung sondern der Koordination der Hände und der Automation, in der Schulung des Geistes und der Kognition.
Natürlich erfordert auch das Kurbeln grosse motorische Fähigkeiten, allerdings sind das überwiegend Armbewegungen, nur in geringen Ausmass Handbewegungen und darin wieder, neben Bewegungen des Handgelenks, überwiegend gemeinsame Bewegungen des Zeigefingers, Mittelfingers und Daumens, also der ohnehin besser geschulten Teile auch der schwächeren Hand.
Die Linke ist für den Klang der Drehleier von wesentlich grösserer Bedeutung als die Rechte. Die Gestaltung jedes einzelnen Tones erfordert den maximalen Einsatz der Feinmotorik. Mit der Festigkeit des Druckes, eigentlich mit der präziesen Positionierung des Bundes, wird die Tonhöhe gesteuert und im Minimalbereich des Druckes die Anregung von Flageolets. Über die Anschlagsgeschwindigkeit der Finger wird die Klangfarbe gesteuert, da sie die Energie bestimmt mit der der Bund gegen die Saite schlägt und der Saite ein neuer Schwingungsknoten aufgezwungen wird. Beim Wechsel zwischen zwei Tasten wird mittels dieser Effekte der Übergang zwischen zwei Tönen kontrolliert. Eine gute Drehleier-Spieltechnik zielt darauf ab, diese Kontrolle in gleicher Weise mit allen Fingern zu beherrschen.
Daneben ist es natürlich notwendig die Finger einzeln mit maximaler Geschwindigkeit dem Fingersatz folgen zu lassen und die Tasten zu treffen, dabei müssen auch weite Sprünge und ungewöhnliche Fingerabfolgen automatisiert ausgeführt werden.
Motorisch gesehen würde ich sagen, dass das Spiel der Drehleier - möglicherweise im Gegensatz zu anderen Saiteninstrumenten - keine Hand bevorzugt. Erst recht das Virtuose Spiel erfordert eine vollständige ausgewogene Beherrschung beider Arme und Hände und wird dominiert von der Fähigkeit zur Koordination, von der Kognition.
Neben diesen spieltechnischen Abwägungen ist auch zu bedenken, dass das Erlernen des Instrumentes mit umgekehrter Händigkeit einige zusätzliche Barrieren erzeugt:
Man muss sich dazu ein Instrument speziell anfertigen lassen. Nicht jeder Instrumentenbauer ist dazu bereit, Sonderanfertigungen beedingen oft auch längere Wartezeiten und Mehrkosten.
Ein Markt für gebrauchte seitenvertauschte Instrumente besteht praktisch nicht. Anzumerken ist, dass es kaum möglich ist ein Instrument einfach umzubauen zu lassen, da alle Deckenaufbauten vertauscht werden müssen und auch die Korpuskonstruktion möglicherweise nicht symetrisch ist, insbesondere die Bebalkung der Decke.
Ein Weiterverkaufen des Instrumentes ist davon natürlich ebenso erschwert, wenn nicht unmöglich. Das fürt auch dazu, dass beim Wechsel zu einem neuen, besseren Instrument nicht mit den Einnahmen aus dem Verkauf des Erstinstruments gerechnet werden kann, es also teurer wird.
Es ist, wenn man auf einem seitenvertauschten Instrument gelernt hat, auch kaum möglich ohne Umlernen auf "normalen" Drehleiern zu spielen, etwa um sie auszuprobieren oder als Leihinstrument. Man ist praktisch lebenslänglich auf die eigenen, für einen selbst gebauten Instrumente beschränkt.
Mein Resumée ist, als Linkshänder keinesfalls ein seitenvertauschtes Instrument anzustreben. Schwierigkeiten mit dem Lernen liegen nicht an der Händikeit sondern typischerweise an der Methodik oder an bestehendem motorischem Trainingsbedarf beider Hände oder Trainingsbedarf der kognitiven und koordinatorischen Fähigkeiten.
Ich würde eher dazu raten ergänzende Methoden zu versuchen wie etwa Feldenkrais, oder auch den Lehrer zu wechseln. Dies nicht weil der Lehrer schlecht sein muss sondern weil die Chance besteht, durch die unterschiedliche Herangehensweise verschiedener Lehrer das konkrete Problem besser in den Griff zu bekommen.