Simon Wascher
Musiker
Traditionelle europäische Tanzimprovisation

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Vom "politischen" Schwarzfahren
immer wieder begegnet man Menschen die ihr Schwarzfahren politsch rechtfertigen, manchmal im gleichen Satz auch noch als ohnehin wirtschaftlich. Schwarzfahren wird gerechtfertigt mit folgenden Argumenten

* der öffentliche Verkehr sei viel zu teuer
* der öffentliche Verkehr solle für alle gratis sein,
* es sei ausserdem wirtschaftlich, da ohnehin wenig kontrolliert werde
* der öffentliche Verkehr fahre ohnehin

zu
Der öffentliche Verkehr sei viel zu teuer und solle ohnehin für alle gratis sein

Dazu möchte ich anmerken, dass keine Leistung "gratis" ist: Zweifelsfrei würde irgend jemand für die allgemeine Freifahrt zu zahlen haben. Dieser irgendjemand ist in dem Fall relativ einfach zu benennen, es sind wir alle (jeder zahlt Steuern, mindestens die Umsatzsteuer beim Einkaufen). Es kann sich daher nur um eine Meinung zu der Frage handeln, wie und von wem der öffentliche Verkehr finanziert werden soll. Die Diskussion und Festlegung dieser Finanzierung ist eine klassische Aufgabe der demokratischen Institutionen, also, ob und in welchem Ausmass diese Kosten individuell oder von der Gemeinschaft bezahlt werden sollten.

Sich eine Leistung einfach ohne zu bezahlen zu nehmen, weil man der Ansicht ist, es sollte ohnehin so geregelt werden, missachtet und untergräbt die demokratischen Strukturen, deren Aufgabe es ist gemeinschaftliche Regeln festzulegen. Anstelle des zugegeben mühsamen demokratischen Weges der Meinungsbildung, und der Herbeiführung einer den Sachverhalt ändernden demokratischen Entscheidung, steht die Missachtung der demokratischen Entscheidungen auf denen der jetzige Zustand basiert. Zu Ende gedacht nimmt der Schwarzfahrer dabei das Gesetz in die eigene Hand und betreibt Selbstjustiz.

Sollte das Schwarzfahren als politische Demonstration verstanden werden, um den demokratischen Entscheidungsprozess zu beeinflussen, müsste es ja demonstrativ geschehen, also sichtbar, bekenntnishaft und unter Akzeptanz der sich daraus ergebenden Konsequenzen.
Verborgenes Schwarzfahren, die Angabe einer falschen Identität, die Flucht aus der Verantwortung für das eigene Handeln, das Lamentieren über Strafzahlungen die sich aus bewussten Widerstandshandlungen gegen den demokratischen Konsens ergeben, sind nicht mit der Idee des bewussten verantwortlichen politischen Aktivismus vereinbar.

zu
es sei ausserdem wirtschaftlich

Diese Rechtfertigung stellt den eigenen wirtschaftlichen Vorteil über die Regeln und das Wohl der Gemeinschaft. Genau dies ist es, was als verantwortungsloses Handeln mancher Grosskonzerne angeprangert wird. Aber nicht nur Grosskonzerne sondern auch der Einzelne handeln verantwortungslos gegenüber der Gemeinschaft wenn sie so kalkulieren. So zu Handeln ist als verwerflich auch bei einem selbst anzuprangern, nicht nur bei den Anderen.

Als politische Demonstration betrachtet wäre solches Handeln fundamental wirtschaftsliberal und antisolidarisch. Mit dem behaupteten politischen Argumenten der erstgenannten Rechtfertigung ist es somit grundlegend unvereinbar.

zu
öffentliche Verkehr fahre ohnehin

diese Rechtfertigung lässt ausser acht, dass es jedenfalls Geld kostet dieses Fahren zu gewährleisten.
Irgendwer zahlt also dafür. Im Falle des öffentlichen Verkehres ist es die solidarische Gemeinschaft und die zahlenden Fahrgäste die das Zahlen übernehmen. Wenn man selbst nicht dafür zahlt, so nimmt man sich selbst aus der Verantwortung für die Gemeinschaft aus. Wieder steht das tatsächliche Handeln in scharfen Gegensatz zum behaupteten politischen Ziel: Anstelle solidarischer Beteiligung wird unsolidarischer Missbrauch von Gemeinschaftsgütern gelebt.
Wer Andere für sich bezahlen lässt ohne dafür deren Zustimmung einzuholen, nimmt ihnen dadurch etwas weg. Tatsächlich ist das Angebot ja auch nicht unbeschränkt und wird durch den Gebrauch sehr wohl gemindert. Sitzplätze und Stehplätze werden belegt, Anlagen abgenutzt und verschmutzt, der Energieverbrauch erhöht. Doch selbst wenn dem nicht so wäre, entgeht den Mitreisenden die Kostensenkung, die sich aus einer solidarischen Aufteilung der Kosten ergäbe, wenn alle sich solidarisch beteiligen würden.

zu
da ohnehin wenig kontrolliert werde

Diese Rechtfertigung führt zu einem fundamentalen Problem der gegenwärtigen Gesellschaft: dem Dualismus von vertrauenswürdigem Verhalten und Überwachung. Vertrauenswürdiges Verhalten meint in diesem Zusammenhang das selbständige freiwillige Einhalten - ohne äusseren Zwang - von Regeln und Absprachen. Dies ist die Grundlage einer freien solidarischen Gemeinschaft.
Sobald Regeln und Absprachen nur als verbindlich angesehen werden, wenn deren Einhaltung überwacht und sanktioniert wird, also wenn das vertrauenswürdige Verhalten eingestellt wird, wird damit einer vermehrten Kontrolle zugearbeitet. Nicht nur werden damit Kontroll- und Überwachungsmassnahmen rechtfertigt, in vielen Fällen werden sie tatsächlich geradezu notwendig, um begrenzte Ressourcen der Gemeinschaft zu schützen.
Der völlig offene und unkontrollierte Zugang etwa zu den Verkehrsmitteln der Wiener Linien ist aus dieser Perspektive nicht ein Zeichen der Unfähigkeit sondern des Vertrauens in die Fahrgäste. Dass es nicht selbstverständlich ist so zu vertrauen zeigen andere städtische Verkehrssysteme mit wesentlich strengeren Zugangskontrollen wie etwa Paris.

In einer Welt, in der es technisch bereits machbar ist, jedermann bei jedem Schritt zu überwachen ist das Schwinden des vertrauenswürdigen Verhaltens eine ernsthafte Gefahr für die individuelle Freiheit und ein Zuarbeiten für den Überwachungsstaat.

Simon Wascher, Wien, im Oktober 2010


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