Simon Wascher
Musiker
Traditionelle europäische Tanzimprovisation

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Über die Enkulturation oder: Spätgeborene haben nicht nur Glück - Warum auch uns die Nazizeit etwas angeht
Als jemand, der in den 60er-Jahren geboren ist, könnte ich sagen, die Nazizeit geht mich nichts an. Ich bin überzeugter Demokrat, ich war nie ein Nazi, und das ist alles so weit weg.

Doch so einfach geht das nicht. Der Grund ist, dass Kinder das Allermeiste durch Nachmachen lernen. Lernen durch Nachmachen heisst, etwas nachzumachen wie es vorgemacht wird, weil es so geht, ohne zu hinterfragen. Lernen durch Nachmachen heisst, daran zu glauben, dass es so richtig ist.

Die sich in Rede, Handlungen und Verhalten manifestierenden Überzeugungen ihres sozialen Umfeldes, beispielsweise der Eltern, lernen Kinder so durch Beobachtung.
Sie formen sie dabei um in einen unhinterfragten Bestand an Verhaltensweisen, an handlungsbestimmenden Ansichten, an beispielsweise mit der Sprache erlernten Begriffen und Bewertungen.
Spätestens wenn diese Kinder Erwachsene sind, und nicht darüber reflektieren und sich nicht bewusst ändern, wird all das wieder unbewusst von Kindern durch Nachmachen übernommen.

Auch in den nächsten Generationen manifestieren sich damit unbewusst und automatisiert die Überzeugungen längst vergangener Zeiten.

So trägt jeder in sich als wesentlichen Teil der eigenen Enkulturation einen unhinterfragten Bestand an Verhaltensweisen, handlungsbestimmenden Ansichten, an Begriffen und Bewertungen, der von der sozialen Herkunft und deren Überzeugungen geprägt ist.

Eine bewusste Auseinandersetzung mit den Überzeugungen meiner sozialen Herkunft, der Abgleich mit meinem eigenen Bestand an unbewussten Verhaltensweisen, handlungsbestimmenden Ansichten, Begriffen und Bewertungen und die Auseinandersetzung damit, das bewusste Umlernen, ist also notwendig. Zumindest sobald ich weiss, dass ich die Überzeugungen meiner sozialen Herkunft nicht teile.

Und ja, alles was ich darüber in Erfahrung bringe, bestätigt mir, dass ich viele Überzeugungen meiner Urgrosseltern und Grosseltern und deren sozialem Umfeld nicht teile, und dass einiges davon über das soziale Umfeld meiner Kindheit, zuvorderst meine Eltern - die sich dessen keinesfalls bewusst waren - auf mich gekommen ist.
So muss ich mich denn bewusst damit auseinandersetzen um mich davon zu befreien.

Simon Wascher - Wien 11. Februar 2015