Copyright © Simon Wascher, http://simonwascher.info Folk - was ist das? Jeder kennt das Spiel aus Kindertagen: Ein Wort so oft wiederholen, bis es einem komisch vorkommt und irgendwie nicht mehr zu dem Ding passt, das es bezeichnet. Im Erwachsenenalter sind es dann meist die abstrakten Begriffe, die bei genauerer Betrachtung zerfallen und nicht wieder zu einem einfachen Ganzen zusammengesetzt werden können. Da es mir mit dem Wort Folk so geht, habe ich versucht, es wieder mit einer einigermassen brauchbaren Bedeutung zu füllen. Als Ausgangspunkt für meine Überlegungen dient mir eine einfache Vermutung: Das deutschsprachige 'Folk' bedeutet das gleiche wie 'folk' im Englischen. Ein Blick ins Wörterbuch zeigt, daß das deutschsprachige 'Folk' nur einen Teil der englischsprachigen Bedeutung abdeckt: ENGLISH GERMAN folk die Leute folk die Nation folk das Volk folk Volks- the little folk die Elfen folk culture die Volkskultur folk dance der Volkstanz folk festival das Volksfest folk hero der Volksheld folk museum das Volkskundemuseum folk music die Volksmusik folk music volkstümliche Musik folk play das Volksstück folk song das Volkslied folk tale das Volksmärchen folk tale die Volkssage women folk das Weibervolk dialect folk play das Lokalstück Bavarian folk dance der Schuhplattler (Quelle: http://dict.leo.org) 'Folk' heisst in etwa 'folk music', 'folk song' und 'folk dance'. Andere wichtige Bedeutungen des englischen Wortes sind nicht darin enthalten, etwa 'Nation'. Warum konnte sich 'Folk' im Deutschen als eigenständiges Wort neben 'Volksmusik' etablieren, wenn es doch im Englischen die Bedeutung 'Volksmusik' hat? 'Folk' scheint etwas zu sein, das der deutschsprachige Benutzer des Wortes eben von 'Volksmusik' unterscheiden will. Eine erste befriedigende Erklärung ist: 'Folk' bezeichnet die Volksmusik englischsprachiger Regionen. Es steht im Gegensatz zur 'Volksmusik' aus deutschsprachigen Regionen. An dieser Stelle ein Einschub zu den Wörtern 'folk music' und 'Volksmusik'. Beide sind in ihrer Entstehung eng miteinander verwoben, ist doch 'folk song' eine Übertragung des deutschsprachigen 'Volkslied'. Die Wortbedeutung von 'folk music' ist im englischen Sprachraum überdies genauso heftig umstritten wie 'Volksmusik' im deutschen. Selbst wenn also gilt 'folk music' = 'Folk' = 'Volksmusik aus englischsprachigen Regionen', so meinen ein englischsprachiger und ein deutschsprachiger Benutzer des Wortes damit wahrscheinlich Verschiedenes. Meine Vermutung ist, dass 'Folk' von einer besonderen Wahrnehmung der Volksmusik englischsprachiger Regionen kommt. Diejenigen, die das Wort zuerst gebrauchten, nahmen nur den Teil der Volksmusik dieser Gegenden wahr, dem ihr Interesse galt: politisch engagierte Musiker und Sänger des englischen Sprachraumes. Diese wiederum griffen Repertoire und musikalisches Material ihrer Volksmusiken auf, teilweise aus ideologischen Gründen. 'Folk' wurde im deutschen Sprachraum zum Synonym für die Aufführung englischsprachiger Volksmusik, oder was man darunter verstand. Mit der Zeit traten mit dieser Musik, neben tourenden Musikern aus dem englischen Sprachraum, immer mehr lokale Musiker auf und begannen auch in diesem Stil selbst zu schreiben. Das Wort und seine musikalische Formen wurden nach und nach grösseren Teilen der Bevölkerung bekannt. Dies geschah auch durch kommerzielle Nutzung. Das kurze und einprägsame Wort 'Folk' begann sein Dasein als Schublade. Diese Schublade begann sich mit allem zu füllen, das durch seine geographische, musikalische oder wirtschaftliche Nähe unter dieser Bezeichnung verkäuflich war. Ein Beispiel ist die Revue 'Riverdance' die wohl niemand als 'englische Volksmusik' bezeichnen würde, die aber trotzdem als 'Folk' gilt. Noch immer aber bezeichnet der deutsche Begriff 'Folk' nicht die Gesamtheit von 'folk music'. Immer mehr deutschsprachige Musiker machten 'Folk'. Es wurde üblich, damit allgemein 'Volksmusik' zu bezeichnen, die nicht Teil der musikalischen Tradition deutschsprachiger Regionen ist, aber hier gemacht wird. Neben der Musik englischsprachiger Regionen, von der die Bezeichnung seinen Ausgang nahm, bezeichnet 'Folk' nun auch Musik aus der Bretagne, aus Italien, aus Norwegen, aus Deutschland oder Ungarn. In der Folge wird das Wort dann auch auf Musik angewandt, die ausserhalb des deutschen Sprachraumes gemacht wird: Es wird zwischen schwedischer oder tschechischer Volksmusik sowie schwedischem oder tschechischem Folk unterschieden - natürlich auch zwischen deutscher Volksmusik und deutschem Folk. Die Unterscheidung zwischen Folk und Volksmusik wird spätestens damit zu einem akuten Problem. Am Anfang von "Folk" stand vermutlich einfach der Wunsch, damit Volksmusik aus einer bestimmten Region zu bezeichnen. Im Laufe seiner Evolution hat sich das Wort verselbständigt. Seine Verwendung basiert nun auf der Kenntniss einer lokalen Volksmusik und den davon unterschiedenen anderen musikalischen Formen. All diese Urteile fussen auf dem Kenntnisstand des Wortbenutzers. Was der eine als Schwedische Volksmusik erkennt, ist für den anderen Folk. Schon der Ausgangspunkt war problematisch, da er auf den Begriffen 'Volksmusik' und 'folk music' basiert, die in ihrer Bedeutung umstritten und ideologisch stark befrachtet sind. Nun verliert sich der Begriff völlig im Dickicht vager persoenlicher Kenntnisse - um nicht zu sagen Vorurteile. Wer weiss schon wirklich, was in Ungarn regionale Volksmusik ist und was nicht, und ob das eine Rolle spielt. Mit der Erweiterung des Begriffes 'Folk' über den englischen Sprachraum hinaus ist eine Unterscheidung der Begriffe heute kaum mehr ohne ideologische Kratzer möglich. Möglicherweise wird es ohnehin bald üblich, Folk als Oberbegriff von Volksmusik aufzugefassen, so wie es heute schon vielfach geschieht. Volksmusik ist darin eine lokale Form von Folk im deutschen Sprachraum, neben Tango oder Musette. Wie in einer Enzyklopädie stehen nun verschiedene Bedeutungen des Wortes nebeneinander. So wie 'Zug' mehr als eine Sache bezeichnet - Luftzug, Charakterzug, Schachzug - aber auch ein Stadtname ist, ändert auch 'Folk' seine Bedeutung mit dem Kontext. Das ist eine normale Eigenschaft der Sprache. Im Falle einer Diskussion oder bei unklarem Kontext muss die gemeinte Wortbedeutung allerdings dringend geklärt werden, um rote Köpfe zu vermeiden. Simon Wascher - Wien -- http://simonwascher.info/